Sechs Einsichten aus dem Jahresbericht von Lindt & Sprüngli

Über Lipstick-Effekte in der Schokolade-Branche, Werbemittel, Zero-Covid, Omni-Channel und Manager-Saläre.

7.03.2023
image
1. Der Lipstick-Effekt spielt offenbar auch hier. Insgesamt entwickelte sich der Schokoladeabsatz letztes Jahr in den meisten Weltgegenden sehr kräftig – trotz verbreiterter wirtschaftlichen Sorgen, trotz Teuerung. Und dabei konnte Lindt & Sprüngli, also ein Anbieter im eher höheren Segment, seinen Marktanteil sogar fast überall steigern. Dieser positive Effekt war nicht nur in Bereichen zu spüren, die in den beiden Vorjahren lockdown-geschädigt waren (also im Reisebereich und bei den eigenen Shops), sondern auch im Retail-Bereich.
Gut möglich also, dass der so genannte «Lippenstift-Effekt» auch hier hineinspielt; also die Tatsache, dass sich die Menschen öfters mal einen kleinen Luxus gönnen, wenn die Lage schwierig wird und sie sich sonst eher einschränken müssen.
2. Klassische Werbung ist okay. Der Schokoladekonzern von der Zürcher Silberküste ist in seinem ganzen Auftritt bekanntlich recht konservativ. Das gilt auch für seine Aussendarstellung: Influencer und Social-Media-Kanäle sind weniger seine Sache; dafür ist er immer noch breit präsent mit klassischer TV-Werbung und den dort wirkenden Maîtres Chocolatiers. Hier investierte Lindt & Sprüngli 2022 kräftig, ob in Europa oder den USA. Und laut dem Aktionärsbrief war diese Werbung ein wichtiger Faktor fürs Wachstum in dieser Phase.
Zum Jahresbericht 2022 von Lindt & Sprüngli
3. Zero Covid in China. Es wirkt überraschend: Lindt & Sprüngli erzielte in China 2022 ein organisches Wachstum von gut 18 Prozent; die Zahl lag also deutlich höher als in den meisten anderen Ländern. Und laut dem Jahresbericht stiegen dort auch die «Marktanteile in allen Kanälen», sowohl offline wie online. In China zeigt sich auch, dass der Werbe-Einsatz des Konzerns – siehe oben – flexibel ist: Denn im Reich der Mitte nutzt Lindt & Sprüngli auch die Social-Media-Plattform Douyin (TikTok). Man habe damit «vielversprechende Resultate» erzielt.
image
Lindt & Sprüngli-Store in Mailand  |  Bild: PD
4. Diskreter Omnichannel-Händler. Zwei Vertriebsformen stellt Lindt & Sprüngli ziemlich gleichgewichtig als Hauptvehikel des Wachstums dar. Erstens die eigenen Shops, wo der Schokoladehersteller 2022 weiter investierte und expaniderte; zweitens die Online-Distribution. Ohne es gross zu betonen, entwickelt(e) sich das Unternehmen auch zu einem Online-Retailer, dessen Produkte direkt über E-Shops, Apps und eigene Shops und mit diversen Zahlungsmethoden bezogen werden können.
Natürlich gab es noch einen dritten Kanal, der 2022 für Sprünge sorgte, nämlich die Duty-Free-Stores; aber hier erklärt sich die Entwicklung weitgehend aus den Lockdown-Problemen der Vorjahre. Bemerkenswert aber, dass der Bericht die klassische Handelsschiene nicht weiter thematisiert.
5. Schweiz inklusive Migros. Im Heimmarkt stieg der Umsatz von Lindt & Sprüngli letztes Jahr um 15 Prozent auf 407 Millionen Franken; allerdings wird hier auch das Travel-Retail-Geschäft verbucht. Dennoch – zum Vergleich: Der Jahresumsatz von Camille Bloch liegt bei rund 60 Millionen Franken; Migros' Chocolat Frey dürfte gegen 400 Millionen Franken erzielen.
Stark ist hierzulande der Verkauf über Online-Vertriebskanäle gestiegen; und im Detailhandel sei man «ebenfalls gut gewachsen». Hier hatte Lindt & Sprüngli erstmals für ein volles Geschäftsjahr die Umsätze mit dem neuen Kunden Migros in den Büchern.
6. Höhere GL-Saläre, Stabilität bei Verwaltungsrat und Personal. Die Honorierung des Verwaltungsrates von Lindt & Sprüngli belief sich letztes Jahr auf 2,75 Millionen Franken für alle sieben Mitglieder; 2 Millionen entfielen dabei auf den Präsidenten Ernst Tanner. Hinzu kamen insgesamt knapp 100'000 Franken an diversen Entschädigungen. Damit blieb die VR-Vergütung im Vergleich zum Vorjahr 2021 unverändert.
Die Saläre der Konzernleitung summierten sich 2022 auf insgesamt 16,7 Millionen Franken; gegenüber 2021 (mit 13,8 Millionen Franken) bedeutete dies einen Zuwachs um gut 20 Prozent. Die Cash-Bonus-Komponente wuchs um 28 Prozent. 4,6 Millionen entfielen 2022 auf CEO Dieter Weisskopf, die anderen 12,1 Millionen Franken gingen an die anderen sechs Konzernleitungsmitglieder.
Zum Vergleich: Der durchschnittliche Personalaufwand pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter – worin primär die Löhne enthalten sind – lag 2022 bei 69'700 Franken. Damit blieb der Wert minim zurück hinter 2021: Damals der Schokolade-Konzern für jeden Angestellten 69'755 Franken eingesetzt.
  • food
  • glacé & schokolade
  • industrie
Artikel teilen

Loading

Comment

Home Delivery
1 x pro Woche. Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Auch interessant

image

Migros Aare: Keine Seniorenrabatte mehr im Supermarkt

Das Angebot der Genossenschaft im Raum Bern, Aargau und Solothurn war ohnehin eine Ausnahme im Migros-Universum.

image

Denner: +1.1 Prozent. Fenaco: +1.2 Prozent.

Die ersten Signale aus der Lohnrunde im Detailhandel stellen klar: Es reicht bestenfalls für den Teuerungsausgleich. Und auch das nur knapp.

image

Unilever streicht deutlich weniger Jobs als befürchtet

Im Sommer plante der Konsumgüter-Gigant noch den Abbau von 3'200 Stellen. Nun dürften noch halb so viele Jobs betroffen sein.

image

Das Pflanzen-Steak darf Steak genannt werden

Und Veggie-Wurst ist Wurst: Das oberste Gericht der Europäischen Union wandte sich gegen die Fleisch- und Milch-Lobby. Ein Entscheid, der auch fürs Marketing in der Schweiz bedeutsam ist.

image

Cedric El-Idrissi: Von Coca-Cola zu Kägi

Der ehemalige Spitzensportler aus dem Seeland übernimmt die Leitung des Waffel- und Biscuit-Spezialisten aus dem Toggenburg.

image

Nespresso kann man auch aufs Brot streichen

In den USA bringt der Kaffeekapsel-Hersteller jetzt Honig und Sirup auf den Markt: Imagebildung durch Markenerweiterung.