Am
Symposium der Branchenorganisation Swissmilk «zu aktuellen Ernährungsthemen» vom 29. August nahm auch der Ernährungswissenschafter Paolo Colombani aus Bern teil. In seinem Referat zeigte er anhand von Kraftpulver aus Erbsen und frischen Erbsen, dass in den Nährwertdeklarationen der Gehalt von pflanzlichen Proteinen «ohne Korrektur der Nährwert-Äquivalenz»
«täuschend und irreführend und somit gesetzeswidrig sei».Tatsächlich ist seit längerem bekannt, dass pflanzliche Proteine eine geringere Wertigkeit besitzen: Wenn also auf einer Packung Erbsenmus unter «Proteine» 50 Gramm angegeben wird, entspricht dies nicht dem Wert derselben Menge tierischen Proteins. Kurz gesagt: Nährstoffgehalt ist nicht gleich Nährwert.
Historische Gründe
In einem
Artikel des Magazins «Notabene Nutrition» erklärt Colombani zusammen mit dem Ingenieur Christof Mannhart die Verwirrung unter dem Titel «Der deklarierte Proteingehalt täuscht!». Demnach werden die Angaben zum Proteingehalt von Lebensmitteln aus historischen Gründen falsch berechnet. Die traditionelle Referenz-Berechnung basiere nämlich auf gleich mehreren Fehlannahmen.
Bereits 1931 hatte ein US-Chemiker festgehalten: «Die Prozente für Protein in Büchern und Tabellen über die Zusammensetzung von Lebensmitteln sind nur eine Darstellung des Gehaltes an Stickstoff und in vielen Fällen weit davon entfernt, den echten Gehalt an Protein darzustellen.»
Mandeln: minus 20 Prozent Protein
Dennoch haben die heutigen rechtlichen Verordnungen über die Information von Lebensmitteln in Europa und der Schweiz die falsche Rechnung zum gesetzlichen Standard gemacht. Grund dafür ist die «Stickstoff-zu-Protein-Umrechnung». Diese unterschlägt mit den heute üblichen Analysen, dass so genannter «Nicht-Protein-Stickstoff» die Ergebnisse verfälscht.
Kurz gesagt: Der in pflanzlichen Lebensmitteln vorhandene Nicht-Protein-Stickstoff wird fälschlicherweise zum Stickstoff hinzugeschlagen, der den Proteingehalt bestimmt.
Damit liegen Fehlerquoten von 20 bis 60 Prozent bei der Angabe des Nährwerts von pflanzlichen Proteinen drin. Beispiel Mandeln: Deren deklarierter Proteingehalt von 26 Gramm pro 100 Gramm wird aus einem Gehalt von 26:6.25=4.16 Gramm Stickstoff berechnet. Mit dem richtigen Faktor von 5.18 würde aber eine knapp 20 Prozent geringere Menge an Protein von 21.5 Gramm resultieren.
Dr. Paolo Colombani ist Ernährungswissenschafter mit ETH-Ausbildung und langjähriger Tätigkeit als Forscher und Dozent | Bild: PD
Doch damit hat die Kritik von Colombani noch kein Ende. Denn pflanzliche Proteine sind für den Körper schlechter «verfügbar» – anders gesagt: sie werden vom Körper schlechter verdaut.
Bei frischen Erbsen nimmt der menschliche Körper von 100 Gramm Eiweiss zum Beispiel effektiv nur 73 Gramm auf.
In einem weiteren
Fachartikel zitiert Colombani das Resultat einer Untersuchung aus den USA: «Bei Erwachsenen war der Nettoaufbau an Körperprotein nach der Einnahme von als äquivalent dargestellten Mengen an pflanzlichen Proteinlieferanten wesentlich geringer als nach Einnahme von tierischen Proteinlieferanten. Im Extremfall betrug der Unterschied fast das Fünffache (Gemisch an Nüssen versus Rindfleisch).»
«Verfügbare» Aminosäuren
Bei Konzentraten von Erbsenproteinen – wie sie vielfach für pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte verwendet werden – ist dieser Unterschied laut Colombani zwar wesentlich kleiner. Dennoch wäre es nötig, die Verfügbarkeit einzelner Eiweissbausteine im Körper zu kennen. Erst dann sei eine abschliessende Beurteilung der Proteinqualität möglich.
Im Artikel scheibt Colombani: «Der Grund liegt auf der Hand: Der Körper benötigt nicht ‹Protein›, sondern seine Bausteine, die Aminosäuren. Der entscheidende Faktor für die physiologische Beurteilung der Proteine ist dementsprechend die Verfügbarkeit der einzelnen Aminosäuren am Ort ihrer Nutzung in den Körperzellen.»
Proteinangabe pauschal durch 2 teilen
Um auf stimmige Zahlen zu kommen, müsste der Nicht-Protein-Stickstoff und die Verfügbarkeit der Aminosäuren jeder einzelnen pflanzlichen Zutat berechnet werden, die in ein Lebensmittel kommt. «Entweder müsste man alles durchrechnen, was kaum möglich ist», sagt Colombani, «oder den Nährwert für Pflanzenproteine pauschalisiert durch 2 teilen.»
Colombani betont, dass er von der Branchenorganisation Swissmilk mehrfach Aufträge erhalten habe, «aber genauso von Organisationen und Unternehmen, die in pflanzenbasierte Produkte fördern oder herstellen».
US-Studie: Mineraliengehalt in pflanzenbasierter Ernährung geringer
Eine noch nicht
publizierte Studie von Wissenschaftlern der Food and Drug Administration (FDA, US-Lebensmittelbehörde) thematisiert den Mineraliengehalt in Milchersatzprodukten: «Obwohl die Vielfalt und Verfügbarkeit von milchfreien Produkten zunimmt, ist der Nährstoffgehalt bestimmter Mineralien in den einzelnen Sorten noch weitgehend unbekannt – mit Auswirkungen auf die Gesundheit derjenigen, die sie als Milchersatz verwenden.»
Die Forscher massen den Gehalt an Magnesium, Phosphor, Zink und Selen in pflanzlichen Milchalternativen, da diese essenziellen Mineralstoffe nicht auf dem Nährwertkennzeichen angegeben werden müssen. Tatsächlich sei Milch ein Hauptlieferant dieser Mikronährstoffe in der (amerikanischen) Ernährung, und der menschliche Körper könne sie nicht selbst herstellen.
«Da die Menschen stattdessen Lebensmittel und Getränke zu sich nehmen müssen, die diese Mineralstoffe enthalten, ist es wichtig zu wissen, wie viel die verschiedenen Milchalternativen liefern.»
Erstes Fazit: «Von allen untersuchten Proben wiesen nur Getränke auf Erbsen- und Sojabasis höhere Gehalte an den vier essenziellen Mineralien auf als Kuhmilch, wobei Getränke auf Erbsenbasis etwa 50 % höhere Gehalte an Phosphor, Zink und Selen enthielten.»
Anders verhielt es sich für Getränke auf der Basis von Mandeln, Cashew- und Kokosnüssen, Hanf, Hafer oder Reis.