Italien will Fleisch verbieten, das nicht von Tieren kommt. Es stellt Hersteller unter Strafe, die auf ihren Lebensmitteln Gesundheitsampeln wie den Nutri-Score aufführen. Es wehrt sich auch dagegen, dass Würste aus Erbsen «Würste» heissen dürfen.
In gewisser Weise kann man die Italiener mit ihrer nostalgischen Sentimentalität ja verstehen: Sie wollen kein Fleisch und keine Meerestiere aus dem Labor, sondern il vero. Wenn schon. Und sie wollen sich nicht einreden lassen, dass ihr Pecchorino und Parmaschinken ungesund sein sollen. Oder dass sie das Ende der Welt bedeuten, weil sie mehr CO2 verursachen als Plantbased und Carne sintetica.
Meloni, die Chefköchin im umzingelten Dorf
Das ist alles sehr sympathisch, spontan würde man am liebsten mit einem Glas Franciacorta auf den Widerstandsgeist der Italiener anstossen. Auf Premierministerin Giorgia Meloni, Häuptling und Chefköchin im Villaggio, das ganz von der Moderne umzingelt ist.
Doch hinter der Dickschädligkeit steckt politisches Kalkül. Denn: Niemand in der gesamten Welt will oder kann den Italienern Prosciutto cotto, Vongole oder La bistecca verbieten. Es geht vielmehr darum, den Konsumenten Neuheiten anzubieten. Und herauszufinden, ob ihnen diese schmecken. Eigentlich ein ganz nomaler Vorgang in jeder Küche mit ein bisschen Innovationsgeist.
«Nationale Lebensmittelkultur»
Die Stellungnahme des Meloni-freundlichen Landwirtschaftsverbandes Coldiretti zum Verbot von kultiviertem Fleisch macht aber klar, dass es hier weniger um einen Kampf gegen die Gefahren von Kulturfleisch geht als um einen Kulturkampf: «Wir danken der Regierung, dass sie unseren Appell angenommen hat, um eine gefährliche Entwicklung zu stoppen, die die Zukunft der nationalen Lebensmittelkultur, die Landschaft und die Weiden sowie die gesamte Lebensmittelversorgungskette ‹Made in Italy› und die Wirtschaftsdemokratie selbst gefährdet.»
Das rückwärtsgewandte Italien, das zurzeit eine parlamentarische Mehrheit für sich beanspruchen kann, zieht die neue rote Linie im nationalen Kulturkampf gegen die Moderne heute vor dem Metzgereitresen.
Nachdem absehbar ist, dass Italien im Kampf gegen die Rechte der LGBT-Community, etwa um
Anerkennung von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen, in Brüssel Schiffbruch erleiden wird, tut sich mit den populären Gesetzen gegen Kunstfleisch und angebliche Bevormundung im Supermarkt ein neues Schlachtfeld auf. Perfekt für die
Chiacchierata zum Espresso an der Bar.
Italiener sind offen für «New Food»
Italien gegen die Moderne: Das ist eine alte Geschichte. Nun setzt sie sich in den Supermärkten und Restaurants fort. Es ist allerdings ein politischer Kampf, oder genauer: der Krieg alleine der Rechten gegen alles, was auch nur entfernt nach Fortschritt schmeckt.
Eine repräsentative
Umfrage in mehreren europäischen Ländern ergab im letzten September nämlich, dass Melonis Volk keineswegs aus Hinterwäldlern besteht, die nichts Gutes in den Food-Innovationen sehen. Im Gegenteil: Sie sind gegenüber kultiviertem Fleisch und pflanzlichem Fleischersatz aufgeschlossener als Franzosen, Spanier oder Deutsche.
Über 70 Prozent von ihnen glauben, dass Alternativen zur Produktion und zum Konsum von konventionellem Fleisch gefunden werden müssen – aus Gründen des Klimaschutzes. Aber nur 60 Prozent der Deutschen und Franzosen sehen es laut der Umfrage so.
Klappergaul gegen Windmühlen
58 Prozent der befragten Italiener möchten, dass ihre Regierung neue Arten der Fleischerzeugung unterstützt. In Frankreich sind es gerade mal 38, in Deutschland 56 Prozent.
Regierungschefin Meloni und ihre tapferen Mannen gleichen also weniger Asterix und Obelix, die in ihrem umzäunten Kaff gegen die römische Übermacht kämpfen. Sondern eher Don Quijote, der auf seinem Klappergaul gegen Windmühlen anrennt. Und damit by the way die Zukunft der für die italienische Wirtschaft zentralen Lebensmittelindustrie gefährdet.