Wie die SBB das Shopping-Verhalten tracken wollen

Der Bahnbetrieb will bald die Reisenden auf Schritt und Tritt verfolgen. Das neue Beobachtungssystem soll auch den Ladenbetreibern in den Bahnhöfen dienen.

16.02.2023
image
Bahnkunden: Wie lange sind sie im Bahnhof? Wie verhalten sie sich? Alter, Geschlecht, Grösse? Bild: Alain Duss on Unsplash von: on Unsplash
Die SBB wollten Kunden an ihren grösseren Bahnhöfen auf Schritt und Tritt vermessen und auswerten. Der Bahnbetrieb plane dazu an 57 Bahnhöfen Überwachungskameras mit Gesichtserkennung zu installieren: Dies schreibt der «K-Tipp», der die entsprechende Ausschreibung auf der Plattform Simap entdeckt hat.
Ab September wollen die SBB demnach nicht nur die Reisenden auf Schritt und Tritt überwachen, sondern auch ihr Konsumverhalten analysieren.
Der «Blick» schrieb im Gefolge von einem «Spionage-Angriff auf Reisende»; der Bundes-Datenschützer sei im Herbst von den SBB grob informiert worden – das Ausmass der Pläne war Adrian Lobsiger aber offenbar nicht bewusst. Er erklärte nun, dass das Projekt ein erhebliches Risiko für die Persönlichkeit der Passantinnen und Passanten darstellen könne und verlangt von den SBB eine Abschätzung der Folgen für den Datenschutz.

Stetiger Auf- und Ausbau

Bereits heute betreiben die SBB eine Vielzahl an Kameras in ihren Bahnhöfen. Im November 2021 liessen die Bundesbahnen die Analyse der Pendlerströme ausbauen, die Firma Analysis Simulation Engineering (ASE) erhielt dafür über 10 Millionen Franken. Die erhobenen Daten dienten der Messung und Weiterentwicklung der Infrastruktur, heisst es vom Bahnkonzern, der gegenüber «Inside-it.ch» beteuerte: Rückschlüsse auf Einzelpersonen seien nicht möglich.
Klar war schon damals, dass die Sensoren die Position von Personen wahrnehmen und ihnen auch eine Identität zuweisen.
Ab 2021 liess die SBB das Personentrackingsystem – wie der Auftrag hiess – bereits an den Bahnhöfen Bern, Basel SBB, Lenzburg und Zürich Hardbrücke betreiben. Bis zu 70 Standorte sollten mit Sensoren ausgestattet werden. Das Projekt reicht aber weiter zurück: Die Firma ASE hatte bereits 2017 einen Auftrag für ein Kundenfrequenzmesssystem (KFMS) erhalten. Der neue Auftrag trägt denselben Namen – mit der Ergänzung «2.0».

«Keine Verknüpfung mit Personendaten»

Hegte die SBB schon 2021 die Idee einer persönlichen Auswertung, trotz gegenteiliger Beteuerung?
Eine SBB-Sprecherin erklärt auf Anfrage, das System laufe seit über 10 Jahren, man halte sich seit jeher an alle Datenschutzbestimmungen.
Der Konzern hat nach der Publikation des «K-Tipp»-Artikels einen Blogbeitrag veröffentlicht. «Fakt ist: Die Daten werden anonymisiert erfasst, und es findet keine Verknüpfung mit Personendaten statt», heisst es dort.
  • Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Partner-Plattform «Inside-IT» unter dem Titel: «Was steckt hinter der Überwachungs-Offensive der SBB?»
Es steht also Aussage gegen Aussage, denn das Konsumentenmagzin schreibt: Die Daten würden unter anderem mit Informationen aus dem «Swisspass» verknüpft. Dies wiederum würde eine Personalisierung voraussetzen – und damit auch die Erkennung eines spezifischen Gesichts mittels künstlicher Intelligenz.

Alter, Geschlecht, Grösse, Gepäck

Der «K-Tipp» schreibt weiter: Ab September wollten die SBB das Kaufverhalten von Passanten auswerten. Zu den Informationen zählen unter anderem Alter, Geschlecht, Grösse und Gepäck. Geprüft werde auch, wie lange sich die Menschen im Bahnhof aufhalten, wie sie sich in Läden benehmen und wie viel Geld sie ausgeben.
Zugang zu den Informationen sollen laut Projektbeschrieb nicht nur SBB-Mitarbeitende bekommen, sondern auch Ladenbetreiber.
Es seien keine Rückschlüsse auf Personen möglich, der Datenschutz bleibe gewährleistet, beteuert die SBB: Man werde nur mit aggregierten Daten arbeiten. Die Informationen der Laden­kassen würden nur «all­gemein genutzt», das Einkaufsverhalten nicht mit den Daten des Swiss­pass verknüpft. Und (das ist entscheidend): «Die 'Person-ID' hat nichts mit der Person zu tun, sondern ist eine rein technische Nummerierung.»

Auf Knopfdruck Gesichtserkennung

Nun lässt sich nicht abschliessend beurteilen, wie das Kaufverhalten analysiert wird oder die Daten mit den Kassendaten verknüpft werden (wie das in den Ausschreibungsunterlagen gefordert wird). Gerade zu letzterem fehlt auch eine Erklärung im Blogbeitrag.
Klar ist aber: Das System dürfte sich auf Knopfdruck auf Gesichtserkennung umstellen lassen, denn es muss nicht nur demographische Informationen erkennen, sondern auch die Grösse der Person und Blickrichtung. Die SBB täte gut daran, hier technische Details und Schutzmassnahmen zu nennen.
Nun könnte offenbar die Verkehrskommission des Nationalrats aktiv werden. Deren Präsidenten Jon Pult erklärte im «Blick»: «Es ist sicher nicht wünschenswert, dass sich die SBB an ihren Bahnhöfen wie Google oder Facebook verhalten, Bewegungsprofile von uns allen erstellen und unser Konsumverhalten aufzeichnen.»
Man verlange Auskunft vom Bahnbetrieb, falls sich die Angelegenheit nicht demnächst aufkläre.
https://www.inside-it.ch/was-steckt-hinter-der-uberwachungs-offensive-der-sbb-20230216
  • handel
  • marketing
  • e-commerce
Artikel teilen

Loading

Comment

Home Delivery
1 x pro Woche. Abonnieren Sie unseren Newsletter.

oder

Auch interessant

image

Migros Aare: Keine Seniorenrabatte mehr im Supermarkt

Das Angebot der Genossenschaft im Raum Bern, Aargau und Solothurn war ohnehin eine Ausnahme im Migros-Universum.

image

Dieser Online-Store ist besonders praktisch

Zu diesem Schluss kommt eine Experten-Community mit 6’500 Stimmen: Hugo Boss gewann den deutschen Shop Usability Award.

image

Denner: +1.1 Prozent. Fenaco: +1.2 Prozent.

Die ersten Signale aus der Lohnrunde im Detailhandel stellen klar: Es reicht bestenfalls für den Teuerungsausgleich. Und auch das nur knapp.

image

Was ist der direkteste Weg zur Würfelbouillon?

Eine britische App führt die Kunden durch den Supermarkt – entlang dem Einkaufszettel. Auf Wunsch auch nach dem Prinzip Kochbox.

image

Temu und Shein: 13 Verbände fordern den Bundesrat zum Handeln auf

Dabei soll die Regierung möglichst noch vor dem Weihnachtsgeschäft ein deutliches Signal aussenden.

image

Das Pflanzen-Steak darf Steak genannt werden

Und Veggie-Wurst ist Wurst: Das oberste Gericht der Europäischen Union wandte sich gegen die Fleisch- und Milch-Lobby. Ein Entscheid, der auch fürs Marketing in der Schweiz bedeutsam ist.