2022 ist zwar nicht mal zur Hälfte um, aber ein Kandidat für den Wettbewerb der grandiosesten Marketing-Auftritte ist bereits gesetzt: Nestlé.
Der Präsident der USA, der amerikanische Landwirtschaftsminister, das Pentagon und zahlreiche weitere Instanzen der Vereinigten Staaten feierten am Sonntag einen Transportflug als logistischen Erfolg. Und stets wurde ein und dieselbe Firma ins Zentrum gerückt: Nestlé – inklusive ihrer exakt ausgeschriebenen Markennamen «Alfamino® Infant, Alfamino® Junior, Gerber Good Start® Extensive HA», wie man beispielsweise in zwei
Communiqués des Weissen Hauses nachlesen konnte.
Was war geschehen? Nestlé hatte offenbar rasch reagiert. In den USA herrscht bekanntlich ein gefährlicher Mangel an Babymilch-Produkten. Nachdem der Marktführer in diesem Bereich, Abbott, wegen Hygieneproblemen seine Produktion aussetzen musste, kam es zu Hamsterkäufen – und am Ende des Teufelskreises standen leere Regale.
Das heikle Thema der Kinder-Versorgung scheuchte die Politiker auf, und am Freitag rief Präsident Joe Biden persönlich die Aktion «Fly Formula» aus: Das Militär soll Milch beschaffen. Übers Wochenende griff die US Air Force ein.
Da hatte Nestlé bereits mehrere Tonnen an Babyprodukten der erwähnten Marken bereitgestellt. Bis am Samstag wurden dann 132 Paletten mit Alfamino-Pulver aus der Schweiz und 119 Paletten mit Gerber «Good Start» aus den Niederlanden zum Luftwaffen-Stützpunkt Ramstein in Deutschland gefrachtet.
Von dort flog die Ware mit einem Boeing-Grossflugzeug nach Indianapolis, um übers ganze Land weiterverteilt zu werden. Die amerikanischen TV-Sender berichteten eifrig vom Weg des ersehnten Schoppeninhalts aus Switzerland.
Auch andere Konsumgüter-Konzerne wie
Reckitt Benckiser und Danone springen derzeit ein und helfen mit logistischen Schnellaktionen gegen die Babymilch-Krise der USA. Aber bloss Nestlé gelang die breite Erwähnung durch hohe Instanzen der Regierung in Washington.
Product Placement in einem Videoclip zur «Operation Fly Formula», veröffentlicht von Joe Biden | Screenshot wh.gov
Die Gründe? Unklar. Dass die die Schweizer Lieferung nach Ramstein zum rechten Zeitpunkt kam, spielte sicher eine Rolle. Ein wichtiger Aspekt ist zudem wohl, dass die Baby-Produkte von Nestlé auch als medizinische Produkte dienen und präsentiert werden können: Sie sind teils geeignet für Kinder mit Laktose-Allergien oder Diabetes. Also noch dringender benötigt als die Standard-Angebote an Babymilch-Pulver.
Die ersten Auslieferungen nach der Landung der Boeing C-17-Transportmaschine in Indianapolis gingen denn auch an Kinderspitäler und andere Gesundheitseinrichtungen.
Dieser Aspekt hilft wiederum mit, die Nestlé und seine Marken ideal zu positionieren; bekanntlich will sich der Schweizer Konzern mehr und mehr auch als Healthcare-Firma. Insofern sind die Air-Force-Flüge sogar ein doppelter Erfolg.
Selbstverständlich weckte die offene Propaganda der amerikanischen Regierung für – ausgerechnet! –Babymilch von Nestlé auch allerhand Kritik.
Bemerkenswert ist allerdings auch: Der Konzern selber blieb still. Bis Montag früh – Vevey-Zeit – gab es weder Communiqués noch Social-Media-Statements zu den Air-Force-Flügen.