Die Textilindustrie ist weltweit für 10 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Zugleich setzt verstärkt auf Billigware, um den Folgen der Inflation zu entkommen. Doch je mehr sie das tut, desto schlechter wird wiederum ihre Umweltbilanz. Und Vorwürfe des «Greenwashing» nehmen zu.
85 Prozent der Modemanager glauben laut einer McKinsey-Studie, dass die Inflation auch im nächsten Jahr eine Herausforderung für ihren Markt darstellen wird. Und drei von fünf Branchenvertretern sehen voraus, das geopolitische Spannungen, unterbrochene Lieferketten und die Energiekrise den Modemarkt ebenfalls schwächen werden.
Würde man die aktuelle Stimmung unter Modemanagern mit einem Kleidungsstück symbolisieren, käme das «kleine Schwarze» heraus.
Branchenchefs setzen auf Billigware
Es herrscht Furcht vor abnehmender Kauflust, sinkenden Umsätzen, noch mehr Problemen mit der Umweltbilanz der Branche. Und die Probleme könnten sich in den nächsten Jahren kulminieren.
Als Lösung planen fast 60 Prozent der Befragten, den Anteil der preisgünstigeren Artikel in ihrem Sortiment zu erhöhen, während 80 Prozent erwarten, dass sie mehr als 10 Prozent ihres Umsatzes im Jahr 2023 durch Werbeaktionen und Rabatte erzielen müssen.
So läuft die Modeindustrie Gefahr, sich weiter im Teufelskreis zu drehen.
Verramschen vs. verstetigen
Wenn Kunden weniger Geld für Kleidung ausgeben, kann die Modeindustrie auf zwei Pferde setzen:
- Erstens: Sie verbilligt ihre Mode und verkauft – Deutsch gesagt – mehr Ramsch.
- Zweitens: Sie macht Mode haltbarer und nachhaltiger, verkauft sie zwar teurer, aber letztlich in geringeren Stückzahlen.
Mit der ersten Variante kann sie alle Claims zu «Zero waste», «Zero CO2» oder «Zero Ausbeutung» in den Kamin schreiben. Und wird am Ende vielleicht sogar für ihre ESG-Sünden büssen müssen.
Oder wie McKinsey schreibt: Es «könnte möglicherweise zu Rufschädigung oder kostspieligen Geldstrafen führen». Aktuelles Beispiel: H&M kommt derzeit in den USA wegen mehrerer Sammelklagen vor Gericht, Vorwurf Greenwashing.
Mit der zweiten Variante sind Rückgänge bei Umsatz und Gewinn zu befürchten. Immerhin würde die Branche eher den eigenen ESG-Claims gerecht.
Netto Null bis 2050
Als Leuchtturm, den die Branche langfristig anpeilt, gilt die von den Vereinten Nationen unterstützte «Fashion Industry Charter for Climate Action». Ziel der Charta: Bis 2050 soll die Textilindustrie Netto-Null-Emissionen ausstossen. Sie sieht vor, dass sich die Unternehmen freiwillig zu Nachhaltigkeitszielen verpflichten würden.
Bisher haben sich 125 Unternehmen zur Charta bekannt, darunter grosse globale Modemarken: Adidas, Gant, H&M, Hugo Boss, Inditex, Nike, Puma oder Tchibo. Billigheimer wie der chinesische Fast-Fashion-Händler Shein hingegen fehlen.
Heute sind viele der Unternehmen bemüht, Projekte zu fördern, die den Zielen der Charta entsprechen. Aber sie finden sich selten in Asien, sondern wurzeln insbesondere in Westeuropa und den USA .
Stichwort «Recycling»
Was tun? Noch vor wenigen Jahren war es unmöglich, gebrauchte Kleidung an den Händler zurückzugeben. Recycling wurde von C&A und Co. an karitative Wiederverwerter ausgelagert. Heute nehmen einige der Händler Alttextilien zurück, die sie verkauft haben. Auch wächst die Nische der Modeartikel, die aus rezyklierten Materialien hergestellt werden.
Was «Recycling» tatsächlich bedeutet, bleibt aber häufig schleierhaft: Kleidungsstücke, die zur Weiterverwendung in Recyclingsäcke der Händler oder von karitativen Organisationen gesteckt werden, reisen teilweise um die halbe Welt – um am Ende bei einem Second-hand-Käufer oder auf einer Deponie zu enden.
Stichwort «Kreislaufwirtschaft»
Die Branchengrössen Europas sind alle dabei: C&A, H&M, Inditex, Levi Strauss, Otto Group, und Zalando unterstützen Projekte, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Bisher werden nur 2 Prozent aller in der EU verkauften Kleidungsstücke nach Gebrauch wieder zu Textilien verarbeitet. Dies, obwohl drei Viertel der untersuchten Alttextilien «ohne weiteres für das Faser-zu-Faser-Recycling» verwendet werden könnten, wie die EU festhält. In Zukunft soll der «Grossteil» wieder zu Kleidungsstoffen verwendet werden.
Stichwort «Umweltschonende Produktion»
Völlig umweltfreundlich hergestellte Stoffe gibt es nicht. Die Produktion von Kleidern ist niemals sauber, selbst wenn «Bio» oder «öko» auf dem Etikett steht. Bei der Herstellung eines einzigen Paars Denim-Jeans werden über 20 Kilogramm Kohlendioxid ausgestossen und fast 7000 Liter Wasser verbraucht.
Auch der Anbau von Bio-Baumwolle benötigt grosse Mengen Wasser. Textilien werden mit Chemikalien behandelt, damit sie wetterfest sind. Farben sind grösstenteils künstlich und ihre Herstellung belastet die Umwelt. Immerhin geben sich viele Unternehmen heute Ziele, um die Umweltbelastung durch ihre Textilproduktion zu reduzieren.
Stichwort «Soziale Verantwortung»
Das Elend vieler der 80 Millionen Textilarbeiter in den Produktionsländern ist im Zuge der Umweltproblematik in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt. Doch auch dieser Problembereich bleibt bestehen. Auch hier bemühen sich einzelne Player um Lösungen.
Die Kunden sind sich der Problematik bewusst. Das Kriterium Fairtrade spielt für sie eine immer grössere Rolle, wie aktuelle Umfragen zeigen.
Greenwashing als Folge
So ist in den letzten Jahren ein undurchschaubarer Dschungel an Öko- und Fairtrade-Labels, Claims und Submarken entstanden, die auf oft intransparente Art und Weise ein nachhaltiges Bewusstsein der Hersteller dokumentieren sollen.
Da liegt der Vorwurf des Greenwashing nicht weit, und er kann jeden Modebrand treffen. Denn wie gesagt: Textilfabrikation geht bisher kaum, ohne sich die Finger und die Firmenweste schmutzig zu machen.
Wo geht es raus aus dem Teufelskreis?
Für die EU ist die Kreislauftwirtschaft eine mögliche Lösung: Sie könne eine Win/Win-Situation für Unternehmen und Kunden schaffen. Im Frühling 2022 hat sie die «EU Textile Strategy» verabschiedet, die auf eine Kreislaufwirtschaft für Textilien abzielt.
Darin setzt sie auf die Eigenverantwortung der Textilbranche bei dieser textilen Revolution.
Dennoch könnten «verbindliche Anforderungen an die Produktgestaltung und verlässlichere Regelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung» nötig werden.
Auch müssten «Designer, Hersteller, Einzelhändler, Werbetreibende und Bürger in der EU dazu animiert (werden), Mode neu zu definieren». Es brauche einen «Wandel hin zu Qualität, Haltbarkeit, längerer Nutzung, Reparatur und Wiederverwendung». Das heisst konkret: Der Konsument soll weniger, aber haltbarere Kleidung kaufen.
«Lasting Fashion» statt «Fast Fashion»
Selbstverantwortliche Massnahmen auf Unternehmensseite, neue Regeln und Gesetze der Politik, ein neues Denken auf Kundenseite: Es scheint tatsächlich unvermeidlich, dass alle Beteiligten sich vom bisherigen Modebusiness verabschieden und den Wert von Kleidung neu definieren.
Auf Fast Fashion folgt dann Lasting Fashion, so die Hoffnung. Dass die Modeindustrie in der Folge noch dieselbe wie heute sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Revolutionen unbeschädigt zu überstehen, glückt nur den wenigsten Teilnehmern.