Es ist ein Lehrstück darüber, wie der Lebensmittelhandel versucht, Flagge für die Umwelt zu zeigen und dabei auch mal den Mund zu voll nimmt. Und darüber, wie brenzlig es für beide Seiten werden kann, wenn Unternehmen und Umweltaktivisten einen gemeinsamen Nenner zu finden versuchen.
Vor zehn Monaten, im Oktober 2021, veröffentlichte die «Retail Soy Group» einen Bericht zur Verhinderung der Abholzung von Wäldern für den Soja-Anbau. Die RSG ist eine Interessensgemeinschaft von Lebensmittelhändlern aus Europa, die mit eigenen Richtlinien einen Beitrag leisten für den Urwald-Schutz; auch Coop und Migros sind dabei.
In einer
aktuellen Analyse bezweifelt die US-Umweltorganisation
Mighty Earth, dass sich die Mitglieder der RSG an die selbst auferlegten Richtilinien gehalten hätten. Und sie äussert den Verdacht, dass Soja von illegal gerodeten und umgenutzten Waldparzellen in den beteiligten Supermärkten gelandet sein könnte.
Ein Bekenntnis im RSG-Regelwerk besagt, dass man kein Soja mehr bei Lieferaten bestellt, die dieses von genau solchen Farmen beziehen. Mighty Earth stellt nun die Behauptung auf, dass dies trotzdem geschehen ist. Oder geschehen sein könnte.
Illegales Soja in Supermärkten?
Die Mitglieder der RSG «liefen Gefahr», Soja von Grosshändlern wie Bunge, Cargill, COFCO, LDC, and ALZ Grãos zu beziehen – und dieses Soja wurde auf einer Fläche von 27'000 Hektaren geerntet, die illegal gerodet worden waren.
Untersucht wurde eine Region im Nordosten von Brasilien. Mighty Earth stützt sich auf Satellitenaufnahmen aus dem Jahr 2021. Die Regeln, die in der Roadmap der Detailhändler festgehalten wurden, sollten rückwirkend ab August 2020 Gültigkeit haben.
Ob in dieser Zeit tatsächlich jemals auch nur ein Kilogramm Soja aus illegaler Quelle in den Regalen der europäischen Detailisten gelandet ist, kann Mighty Earth nicht nachweisen.
Satellitenaufnahmen sollen beweisen, dass Soja illegal angepflanzt wird | Bild: PD/Mighty Earth
Letzlich scheint es beim dem Gezerre um die Frage zu gehen, ob das Strategiepapier der RSG vom Oktober 2021 eher eine allgemeine Absichtserklärung mit Handlungsanweisungen für die Mitglieder oder doch eine regelrechte «Roadmap» sei, auf Deutsch: ein Zeit- oder Projektplan.
Mighty Earth war – laut der
Antwort der RSG auf die Vorwürfe – Teil der Arbeitsgruppe gewesen, die den Bericht der RSG 2021 zusammengetragen habe. Dennoch, so die RSG, tue Mighty Earth jetzt so, als sei der in der Arbeitsgruppe entstandene Bericht eine gemeinsame Absichtserklärung («shared commitment») oder gar eine «Roadmap».
Welches Ziel hat der Bericht?
Allerdings ist das auch kein Wunder: Federführend in der Entwicklung des RSG-Soja-Berichts war offensichtlich die Nachhaltigkeits-Beratungsfirma 3keel aus Oxford (UK), die den Report noch heute
auf ihrer Website als «Roadmap» bezeichnet.
Dort heisst es: Die «Roadmap» der RSG vom letzten Jahr präsentiere «die dringend notwendigen Prinzipien und Vorgehensweisen, damit der Detailhandel seine Rolle bei der Beendigung der Abholzung und Umnutzung der lebenswichtigen Ökosysteme wie dem Amazonasgebiet (...) spielen kann.»
Verschiedenste Player
Seit 2013 hat
3keel den Auftrag, für die RSG-Mitglieder «saubere Lieferanten» für Soja zu identifizieren sowie Standard-Zertifizierungen zu stärken. Weniger als ein Jahr nach dem gemeinsam herausgegebenen Soja-Bericht scheinen sich die verschiedenen Mitspieler nicht mehr einig zu sein, was dessen Ziel sei. Während Mighty Earth als Aktivistengruppe
Druck aufbauen will, muss die RSG die Anliegen ihrer diversen Mitglieder unter einen Hut bringen.
Dazwischen steht die Agentur 3keel, die mit Nachhaltigkeit ihr Geld verdient, ihre Prinzipien hoch hält und gleichzeitig ihren Geldgebern nicht zu fest auf den Füssen herumtrampeln kann.