So stehen Regenbogenfarben einem Unternehmen gut
Setzen sich Firmen für die Anliegen der Queer-Community ein, geraten sie rasch auf Glatteis. Zwei Fachleute erklären, für wen sich LGBTI-Engagement lohnt – und wo Pinkwashing beginnt.
16.06.2023Werbung für Pride-Engagement der Credit Suisse am Paradeplatz Zürich | Bild: Twitter / Credit SuisseBudweiser, Swatch, Target, Adidas und auch die Credit Suisse: Ihr «Engagement» für die Sache der LGBTI-Community wurde in den letzten Wochen auf eine harte Probe gestellt.
- Die transsexuelle Influencerin Dylan Mulvaney soll mit ihrer Werbung für das Bier Bud Light verantwortlich für den Umsatz- und Kurssturz der Brauerei Anheuser-Busch sein. Dabei wollte diese doch nur neue, junge Kundensegmente für ein leicht verstaubtes, unbelieber werdendes Produkt gewinnen.
- Die Swatch-Gruppe sah sich in Malaysia mit empörten Sittenwächtern konfrontiert, als die Uhrenherstellerin in dem konservativen, muslimisch geprägten Land ihre regenbogenfarbenen Swatch-Modelle zum Verkauf anbot.
- Der US-Grossverteiler Target – Gesamtumsatz 2022: 110 Milliarden Dollar – geriet in einen veritablen Gender-Sturm, als er Pride-Artikel aus den Displays nahm, die von Teilen der Kundschaft nicht goutiert wurden. Der Wind blies und bläst noch heute von allen Seiten.
- Adidas zeigte einen Badeanzug aus seiner «Pride»-Kollektion des queeren südafrikanischen Designers Rich Mnisi an einem «nicht-weiblichen» Körper und erntete in den digitalen Medien einen Shitstorm.
- Die Credit Suisse ist auch wegen ihrer Queer-freundlichen Haltung und Aktivitäten untergegangen – so jedenfalls die sehr steile These der «Weltwoche».
Während noch vor zwei, drei Jahren kaum ein Hahn krähte, wenn Firmen an Pride-Umzügen eigene Wagen paradierten, sind im Jahr 2023 die ersten Zeichen eines Backlashs sichtbar. Dieser korrespondiert perfekt mit den Aussagen einer neuen Ipsos-Studie: Die «Unterstützung für LGBT+-Rechte» sinke weltweit.
Was ist los im Regenbogenland? Warum geraten Unternehmen in diesem Jahr plötzlich in bisher ungekannte Strudel, wenn sie sich die Pride-Farben umhängen?
Alte Reflexe
«Wir sehen heute eine Gegenbewegung zur Liberalisierung, die spätestens in den achtziger Jahren gesellschaftspolitisch Fahrt aufgenommen hatte», konstatiert der Wirtschaftsethiker Florian Krause von der Universität St. Gallen. Seither habe es sich etabliert, in dieser Gesellschaftsdebatte als Unternehmen «etwas anzubieten».
Gründe für ein Engagement schienen lange Zeit offensichtlich: Da gibt es diese Subkulturen, die Trends setzen, die man wiederum gerne fürs Geschäft nutzt. Oder man denkt an die «betroffenen» und künftigen Angestellten, die man unterstützen will. Oder es sind die Chefs, die sich ein echtes Gewissen machen und gesellschaftspolitisches Nachdenken im Betrieb fordern.
«Schon kommen in manchen Firmen die alten Reflexe zurück, wobei häufig nicht mehr bedacht wird, welches Statement man damit dann eigentlich sendet.»
Florian Krause, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen
Aktuell werde das Pendel zurückgestossen, zum Beispiel von Politikern in den USA, etwa den Trumpisten, aber auch von Putins Russland und dessen Rede vom «degenerierten Westen», der damit den Weltuntergang unter dem Regenbogen provoziere, erklärt Krause. «Und schon kommen in manchen Firmen die alten Reflexe zurück, wobei häufig nicht mehr bedacht wird, welches Statement man damit dann eigentlich sendet.»
«Ein Unternehmen sollte wissen, worauf es sich – gerade in dieser Zeit – einlässt, wenn es sich gesellschaftspolitisch engagiert», sagt Krause dezidiert. Wer jetzt jedoch einknicke und zurückweiche, dem könne «dann zurecht der Vorwurf des Pinkwashing gemacht werden». Damit gemeint ist ein nicht ernst gemeintes Engagement für die «pinke Sache».
Ein solches lebe davon, dass Unternehmen ihre nach aussen getragenen Symbole und Statements auch durch interne Politik glaubhaft machen können. «Bei strukturkonservativen Firmen, die sich einen progressiven Anstrich geben wollen, merkt die Community schnell, wenn es sich dabei nur um ein umgehängtes Mäntelchen handelt.» Positive Beispiele eines langfristigen, transparenten und glaubwürdigen Engagements erkennt Krause etwa bei der deutschen Telekom, dem Autobauer Ford und vielen weiteren Beispielen.
Glaubwürdigkeit in 3 Schritten
Doch wie erreicht man Glaubwürdigkeit? Der Wirtschaftsethiker sieht drei Aktionsfelder:
1. Ein Unternehmen muss Protagonisten – Chefs, Angestellte, Partner, Kunden – haben, «die den Einsatz glaubhaft rüber bringen können».
2. Es muss zu seinem Engagement stehen, auch wenn «das gerade ein Problem darzustellen scheint».
3. Es sollte das Thema nutzen, «um Selbstreflexion zu betreiben» und Prozesse und Strukturen, «die immer schon so waren», etwa in der Beschäftigungspolitik, zu hinterfragen, zu verändern oder neu zu rechtfertigen.
Die wichtigen Fragen dahinter sind immer: Welche Personen schliesst das Unternehmen aus welchen Gründen aus? Wo gibt es reale Benachteiligungen von Personen, die es als solche gar nicht möchten?
Um dies für den eigenen Betrieb zu klären, sollen Führungskräfte einen unabhängigen Blick von aussen in Anspruch nehmen, etwa von der Wissenschaft oder von entsprechenden NGOs.
Schweizer Label für LGBTI-Engagement
Ein solches ist zum Beispiel das Swiss LGBTI-Label, das von allen wichtigen «queeren» Organisationen der Schweiz getragen wird. Es soll «ganzheitliches Diversity & Inclusion Management» gewähren. Bisher haben über 60 Unternehmen das Label erhalten – unter ihnen sind Nestlé, L'Oréal oder GlaxoSmithKline.
In der Vergabekommission des Labels sitzt Thomas Köllen, Dozent am Institut für Organisation und Personal der Universität Bern. Auch er erkennt derzeit «eine Art Gegenbewegung» zum lange selbstverständlichen Engagement von Unternehmen in einer zunehmend liberalen Gesellschaft. «Die gesellschaftliche Debatte ist in vielen Ländern sicher polarisierender und heftiger geworden.»
Man dürfe aber nicht vergessen, was in den letzten Jahren in vielen, vor allem westlichen, Ländern rechtlich und auch gesellschaftlich erreicht worden sei, und wie stark sich dabei die öffentlichen Meinungsbilder verändert hätten. «Es bleibt natürlich abzuwarten, wie sich das weiterentwickelt.»
Er sehe jedoch keinen Rückgang des konkreten Engagements von Unternehmen in der Schweiz: «Ich nehme eher wahr, dass so viel getan wird wie noch nie zuvor. Ein Logo einzufärben ersetzt ja keine LGBTI-Diversity-Initiative. Und hier erleben wir gerade in der Schweiz und im gesamten Westeuropa, dass immer mehr Organisationen aktiv werden.» «Gewisse Inklusionsstandards» würden sich vermehrt durchsetzen.
«Ich glaube, dass der Druck ‹pink› zu wirken nicht so gross ist, als dass sich das ‹washing› lohnen würde.» — Thomas Köllen, Swiss LGBTI-Label
Wenig Sorgen macht sich Köllen zum Thema «Pinkwashing»: «Ich glaube, dass der Druck ‹pink› zu wirken nicht so gross ist, als dass sich das ‹washing› lohnen würde. In Bezug auf Unternehmen, die mit Marketingmassnahmen explizit auf LGBTI-KundInnen abzielen, mag es natürlich das eine oder andere Unternehmen geben, das der eigenen LGBTI-Belegschaft mehr Akzeptanz entgegenbringen könnte.»
Im August steht die nächste Vergaberunde für das Swiss LGBTI-Label an. In fast allen vergangenen Jahren hätten sich, so Köllen, auch Organisationen beworben, welche die Auszeichnung dann nicht bekamen. Die Situation habe sich allerdings verbessert, seit die Anforderungen an die Antragsteller erhöht wurden.
Erreicht werden müssen 50 Prozent von 100 Punkten: «Diese kann eine Organisation nicht bekommen, wenn sie gerade erst begonnen hat, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.» Punkte gebe es für ganz konkrete Massnahmen, die die Organisationen in der Schweiz umgesetzt haben müssen.
LGBTI kommt zuletzt im Diversity-Reigen
Der wichtigste Faktor sei dabei der Umgang mit der eigenen LGBTI-Belegschaft. «Das Label ist also der Ausdruck davon, dass man als Arbeitgeber entweder schon recht gut unterwegs ist bei der Inklusion von LGBTI Beschäftigten, oder dass man sich zumindest mit ganz konkreten Massnahmen schon gezielt auf den Weg gemacht hat, um hier besser zu werden.»
Köllen gibt zu bedenken, dass «Schwule und Lesben wie auch Transgender und intersexuelle Personen für die meisten Unternehmen und Organisationen sicher nicht die ersten Gruppen sind, für die Diversity- und Inklusionsinitiativen gestartet werden». Meist beginne das mit den Themen Frauen/Männer, Herkunft/Hautfarbe und Behinderung: «Das spiegelt sich auch in den meisten Organisationen wider, die sich bewerben.»
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