Die Nummer 2 im deutschen Detailhandel, Rewe, wird ab Juli 2023
keine Aktionsflyer mehr drucken. Bereits in diesen Wochen wird die Auflage der «Handzettel», wie man die Werbeprospekte in Deutschland nennt, von 25 auf 21 Millionen reduziert. Auch die Seitenzahl sinkt.
Ausschlaggebend für den Entscheid seien der «Effekt für Umwelt, Klima und Ressourcenschonung»: Die Umstellung spare mehr als 73'000 Tonnen Papier, 70'000 Tonnen CO2, 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr ein, lässt Rewe verlauten.
Das habe gerade vor der aktuellen Diskussion um die Energieversorgungssicherheit in Deutschland an Bedeutung gewonnen und die Umsetzung der Entscheidung beschleunigt.
Obi setzt auf App
Doch Obi verknüpft mit dem Abschied vom Print auch eine Strategieänderung, wie Christian von Hegel, Managing Director Corporate Marketing bei Obi,
verlauten liess: «Es geht uns künftig also nicht darum, Kunden mit Produkten und Rabatten einmalig zu uns in den Baumarkt zu locken. Stattdessen wollen wir mit unseren digitalen Angeboten Kunden nachhaltig begeistern, um sie mit heyOBI, unserer Vor-Ort-Beratung und umfassenden Expertise dauerhaft an uns zu binden.»
Auf Printkataloge verzichten in Deutschland einige grosse Detailhändler seit längerem: Otto stellte sie 2018 ein, Ikea 2020. Der Premiumhändler
Manufactum verkündete den Verzicht auf seinen Hauptkatalog vor einer Woche.
Vier Argumente gegen Papier
Ist die Rewe-Ankündigung nun der Anfang vom Ende für Printwerbung, die dem Abverkauf dient – gerne auch abschätzig «Schweinebauch»-Reklame genannt?
In deutschen Fachmedien hat sich nach den Entscheiden von Obi und Rewe eine Diskussion über deren Zukunft entspannt.
Die wichtigsten Argumente für den Absprung vom Medium Print zur Konsumentenansprache über digitale Kanäle sind:
- Das Papier wird zu teuer: Von Juni 2021 auf Juni 2022 erhöhte sich der Preis für Zeitungspapier in Deutschland um fast 30 Prozent. Auch der deutsche Drogeriemarkt Müller gab kürzlich die Verteuerung als Grund für den Verzicht auf gedruckte Prospekte an. Die Einsparungen lägen bei 3 Millionen Euro pro Monat.
- Print schadet der Umwelt: Nachhaltigkeit wird immer wieder als Plus für Digitalkanäle dargestellt. Unter anderem wird auf den hohen Erdgasverbrauch der Papierindustrie verwiesen. Vergleiche zu den Umweltkosten der Digitalwerbung werden dabei kaum gezogen. Eine finnische Studie von 2018 ergab, dass Online-Werbung 2016 Energie in der Höhe von 106 Terrawattstunden verbrauchte. Zum Vergleich: Die Schweiz nutzte 2021 Strom im Umfang von 58 Terrawattstunden.
- Jüngere Konsumenten seien digital besser erreichbar. Nur jeder dritte Deutsche unter 30 liest Printmedien, die oft die Aktionsflyer transportieren. Die Markenagentur YouGov schreibt, die Obi-Strategie, ganz auf die Kunden-App zu setzen, habe innerhalb von drei Monaten zu einem Anstieg der Kaufbereitschaft in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen geführt.
- Personalisierung: Digitale Medien können Werbung und Marketingbotschaften zielgerichtet versenden. Wie genau gezielt werden kann, ist allerdings umstritten. Kritiker monieren, dass Werbung generell an Massen gerichtet sein muss, um effektiv zu sein. Die Treffsicherheit digitaler Kanäle aufgrund von algorithmischen Vorgaben sei gering.
Eine aktuelle Umfrage der Agentur für Medienanalysen VuMA zeigt allerdings, dass Handzettel, wie solche Werbeflyer in Deutschland heissen, noch immer grosse Beachtung genissen. Immerhin 42 Prozent der Befragten schauen sich die Direktmailings aus ihren Briefkästen mindestens einmal pro Woche an.
Laut
Zahlen des Marktfoschungsinstituts IFH Köln vom April 2022 sind gedruckte Werbeprospekte selbst bei den 18- bis 29-Jährigen noch immer beliebter als die digitalen Alternativen: Demnach lesen 93 Prozent der in der Altersgruppe Befragten gedruckte Prospekte, 88 Prozent digitale Prospekte und 81 Prozent beides.
Insgesamt sei der Printprospekt noch immer der «Platzhirsch» im Werbewald.
Coop und Migros setzen auf Multichannel
In der Schweiz halten die beiden Platzhirsche im Detailhandel an den gedruckten Aktionszetteln fest, die sie jeweils zu Beginn der Woche den beiden grössten Zeitungen des Landes, der Coopzeitung und dem Migros-Magazin, beilegen.
Mit Auflagen von 3,2 beziehungsweise 2,2 Millionen Exemplaren in drei Sprachen decken sie mehr als die Hälfte aller Haushalte ab. Streuverluste können da getrost in Kauf genommen werden.
Aktionsflyer von Migros und Coop: Allwöchentlich in der Hälfte aller Schweizer Haushalte | Bild: Screenshots
Die Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Effektivität der Schweinebauch-Flyer findet jedoch auch in den hiesigen Konzernzentralen statt. Kritik an der kostspieligen Sandwichwerbung – Aktionsreklame in Zeitungsseiten verpackt – kommt insbesondere von Marketingseite.
Migros fördert digitale Kanäle gezielt
Nachdem die Kosten für das viele Papier der Genossenschaftsblätter von Coop und Migros in den letzten neun Monaten sprunghaft angestiegen ist, wurden sie vorzu ausgedünnt. Das «Migros-Magazin» erreichte diesen Sommer den Tiefpunkt mit einem Umfang von 48 Seiten. Die «Coopzeitung» schrumpfte auf bis zu 64 Seiten. Noch vor wenigen Jahren wären solche Umfänge schwer denkbar gewesen.
Marcel Schlatter, der Sprecher des Migros-Genossenschafts-Bundes, schreibt, die Entwicklung in Deutschland entspreche «dem Wandel der Mediennutzung und dem Wandel zu mehr personalisierten Angeboten – weg vom Print hin zu digitalen Angeboten». Die Migros verfolge bei den eigenen Medien eine «Multichannel-Strategie».
Wegen des geänderten Nutzungsverhaltens stärke die Migros die digitalen Kanäle. «Wir wissen, dass es viele Kunden gibt, die mit dem Aktionsflyer ihren Einkauf planen.» Ebenso gäbe es aber Kunden, welche dazu die digitalen Kanäle bevorzugen, «dies fördern wir gezielt».
Coop verweist auf E-Paper
Ähnlich klingt es bei der Konkurrenz. «Coop nutzt auch in Zukunft diverse analoge und digitale Kanäle, um die jeweilige Zielgruppe effizient zu erreichen und ihnen einen Mehrwert zu bieten», so Mediensprecher Kevin Blättler.
Dazu gehörten auf absehbare Zeit auch weiterhin «die beliebten gedruckten Aktionsprospekte und Aktionsanzeigen». Er verweist zudem auf die Möglichkeit, «die Coopzeitung wöchentlich als E-Paper herunterzuladen oder über die App» zu lesen.
Papier ist auch Imageträger
Die digitalen Kanäle werden allmählich zu Alternativen zur Printwerbung. Beide Detaillisten bieten der Kundschaft Apps mit allen Aktionen und personalisierten Rabatten an. Doch deren Nutzung lässt sich (noch) nicht mit jener der beliebten Zeitungen inklusive ihrer Prospekte vergleichen.
Es wäre deshalb ein schwer einschätzbares Risiko, gänzlich auf diese Pferde zu setzen. Die Zeitungen der Konzerne transportieren zudem neben den Aktionsflyern wichtige Marketing- und PR-Botschaften, die sonst (auch) über Drittkanäle ihren Weg zu den Kunden finden müssten. Während die Migros in ihrem Blatt besonders ihre gesellschaftlichen Aktivitäten zur Schau stellt, ist für Coop Nachhaltigkeit das Top-Thema.
Beide Zeitungen profitieren vom guten Namen der Genossenschaften in der Bevölkerung. Diesen wiederum trompeten Migros und Coop auf fast jeder Seite ihrer Wochenpublikationen in das ganze Land hinaus.
Vorläufig zumindest ist das eine Win-Win-Situation für die Medien- wie für die Marketingabteilungen von Migros und Coop – trotz steigendem Tausend-Kontakt-Preis wegen teurerem Papier und Imageproblemen wegen der abgeholzten Bäume.